In drei Schritten ...

 

Jes 43, 16 - 21
16 So spricht der HERR, der (a) im Meer einen Weg und (b) in starken Wassern Bahn macht, (a) 2 Mose 14, 22 (b) Jos 3, 16
17 der (a) ausziehen läßt Wagen und Rosse, Heer und Macht, daß sie auf einem Haufen daliegen und nicht aufstehen, daß sie verlöschen, wie ein Docht verlischt: (a) 2 Mose 14, 23-28
18 Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige!
19 Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr's denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und (a) Wasserströme in der Einöde. (a) Kap 41, 18
20 Das Wild des Feldes preist mich, die Schakale und Strauße; denn ich will in der Wüste Wasser und in der Einöde Ströme geben, zu tränken mein Volk, meine Auserwählten;


Hören wir zu Beginn der Predigt noch einmal den Text aus Dtjes, die heutige Erste Lesung. - Zu Beginn der Predigt, nicht vor der Predigt! ... Es handelt sich um eine Übersetzung, die Ihnen gestern nachmittag, als Sie sich vielleicht auf den Gottesdienst vorbereiteten, gewiß nicht zur Verfügung stand.

Lehrer scheinen zur Zeit sehr im Sperrfeuer der Kritik zu stehen. Manche helfen sich mit der Unterscheidung: »Nein, ich habe nicht schul-, sondern unterrichtsfrei!« Ich brauchte neulich solchen Tiefsinn nicht zu bemühen, als ich an meinem unterrichtsfreien Tag im Treppenhaus erwischt wurde: »Ha, keine Schule?!« Mein Hinweis auf die nächste Predigt - diese hier - statt Unterricht, genügte vollauf, den anderen Pater abzulenken. Erst wurde er wißbegierig, dann sprudelte er los. Er biß aber keineswegs an der alles entscheidenden Weichenstellung an: Ich sagte, »mit« Jes predigen zu wollen. Aber das schien er zu überhören. Er schritt aber ein, als er verstand, Jes nicht an der üblichen Stelle zu bringen, an der Stelle der »Ersten Lesung«. - Der Unterschied zwischen einer Predigt »mit« Jes, »mit« Mt oder »mit« Lk und einer Rede »über« Lk, »über« Mt oder »über« Jes war ihm nicht geläufig, wie sich auch hier noch zeigen wird. »Mit Jes predigen zu wollen«, hatte nicht provoziert. Aber sein Mißverständnis, den Jes-Text nicht als Erste Lesung zu bringen, sondern erst nach der Zweiten Lesung und nach der Dritten, dem Evangelium, wie er meinte, vor (!) der Predigt, dieses Mißverständnis ließ seine mitbrüderliche Besorgnis wach werden und zu einem ausgedehnten Treppenhausgespräch auswachsen. - Der Pater warnte, die offizielle Verkündigung der Kirche zu kürzen oder gar zu verfälschen. Es sei immer eine Verfälschung, wenn eine Schriftstelle nicht an der gebotenen Stelle gelesen würde, sondern an anderer. Zwangsläufig verließe man dann den wirklich offiziellen Charakter kirchlicher Verkündigung und trüge die Stelle dann auch mehr oder weniger als Privatperson, mit ganz anderem, mit eigenem Engagement vor, auf gänzlich subjektive Art und damit als verfälscht. - Er erinnere sich genau an seine Vikarsjahre, in denen er immer wieder parallel zur lateinischen Lektüre des Pfarrers am Altar den Kindern im Gottesdienst die Heilige Schrift in deutscher Sprache verlesen hätte; das hätte immer so subjektiv und persönlich geklungen, obwohl er es doch ernst gemeint habe. So würde aus Gotteswort ganz schnell Menschenwort. - Am Mittag beerdigten wir dann einen unserer nebenamtlichen ehrenamtlichen Pförtner ...

Wir haben kein Wort [Gottes!], das nicht Gott selber ist. - Menschen haben viele Wörter und auch viele Worte; wir haben kein Wort [Gottes!], das nicht Gott selber ist. - In den meisten Fällen denken wir es, in den meisten Fällen kommt das Wort Gottes - unbedingte Liebe statt mal zuverlässiger, mal entzogener Liebe - formal nicht vor. Wir denken es uns dann als unerläßlichen Schlüssel zum Text dazu. Das sei zugegeben.
Es gibt z.B. kein einziges Gleichnis in der Heiligen Schrift, das unter formaler Hinsicht Wort Gottes ist. Nicht einmal das Gleichnis vom barmherzigen Vater mit seinen verlorenen Söhnen, nicht einmal das enthält das Wort Gottes. In keinem Gleichnis kommt explizit vor, was wir uns als Schlüssel dazudenken, die unüberbietbare Güte Gottes. Unüberbietbare Liebe birgt jeden Menschen, jederzeit, ohne geringste Vorbedingung, über jedes uns bekannte Maß hinaus - das entnimmt nicht einmal jemand diesem Lieblingsgleichnis der meisten Menschen.
Auch jede Wundererzählung ist nur Petrus zugänglich, der den Schlüssel, diesen Schlüssel nämlich hat; nur ein Christ, der zur Unterscheidung informiert ist - keine Frage des Studiums, sondern schlichten Zuhörens. Ob einer den Autor einer Wundererzählung verstanden hat oder nicht, das läßt sich auf der Stelle testen. Der Zuhörer müßte auf derselben Stelle sofort dasselbe tun können, was er soeben von Jesus erzählt bekam und gehört hat (vgl. Joh 14, 12).

Oder er müßte als erster Mensch in der Geschichte der Menschheit einen anderen plausiblen Grund kennen, diese oder jene Wundererzählung überhaupt zu lesen. - Wir haben kein Wort Gottes, das nicht Gott selber ist. In den meisten Fällen denken wir es, in den meisten Fällen kommt das Wort Gottes formal gar nicht vor, wir denken es uns als unerläßlichen Schlüssel zum Text dazu. Das sei zugegeben.

Aber daß etwas Wort Gottes dadurch wird, daß es zu bestimmter Zeit gelesen wird, von bestimmtem Platz?! Daß das Wort Gottes unendlicher Zuneigung in unendlicher Geduld diesen Charakter, Gott selbst zu sein, dadurch verlöre, daß ich es lebhaft und gestikulierend Kindern sage?! Wir haben kein Wort Gottes, das nicht Gott selber ist. Für Glaubende ist alles Spiegelbild des Himmels, wie für Nichtglaubende ausnahmslos alles Spiegelbild der Hölle ist. So wenig es so ist, daß Gott, der sein Wort ist, sich auf das Wort beschränkt, so wenig ist es auch erforderlich, daß Wort Gottes als Wort Gottes tatsächlich reflektiert wird, um Wort Gottes zu sein:
Wenn Sie aus der Wohnung unter oder über Ihnen »Feuer!« rufen hören, werden Sie nicht denken, hoffentlich nicht, »Kann uns auch nicht trennen von der Liebe Gottes!« Trotzdem ist dieses Wort Wort Gottes, so, wie für den unwahrscheinlichen Fall angegeben, richtig gedeutet, ist es Wort Gottes im eigentlichen, im engen Sinn; Ihren Anruf aber nur bei der Feuerwehr auslösend ist es Wort Gottes im weiten Sinn, weil zutreffende Beschreibung der Wirklichkeit.

Dasselbe etwas ernster und hier nicht zum erstenmal: Als ich meinem Vater sagte, er habe Krebs und nur noch Wochen hier, war seine tränenerstickte Reaktion wörtlich: »Das macht nichts, ich bleibe in der Liebe des Vaters zum Sohn!« - Alles ist Spiegelbild des Himmels: Auch wenn der Tag Ihrer Goldenen Hochzeit zusammenfällt mit dem der Entlassung aus dem Krankenhaus, dem Hauptgewinn im Lotto und dem zweiten Nobelpreis für Ihren Jüngsten, ist das alles nichts, gemessen mit Ihrem längst garantierten Sitzen zur Rechten des Vaters, an das Sie nun aber bestimmt auf der Heimfahrt von der Klinik dankbar denken. Nichts anderes, die Welt kann machen, was sie will, nichts anderes umgibt uns. Alles Spiegelbilder des Himmels, widerspruchslos deutbare Zeichen der unüberbietbaren Geborgenheit in Gott. Die zwei Beispiele für die Extreme des Leids und der Freude mögen genügen.

Im einen Fall gibt es gar keinen Grund zu verzweifeln, die Not selbst hat uns zu dienen, uns zu verweisen auf den grundsätzlich gütigen Vater, der das Heft in der Hand behält.
Im anderen Fall hat Gott es auch nicht vorgesehen, daß wir auf einmal Lottogewinne oder Nobelpreise anbeten; niemand hindert uns, nach wie vor unsere Gemeinschaft mit Gott für das zu halten, was es ist: das Leben. Das Leben, durch Krankheit nicht eingeschränkt, durch Ansehen bei Menschen nicht aufgewertet. Leidvolle Erfahrungen bewahren uns davor, die guten Erfahrungen für mehr zu halten als sie sind: Erfahrungen sind Welt. Wir verwechseln sie nicht mit Gott.
Sie sind Gleichnisse, die uns genommen werden können. Das Wort Gottes aber, der Schlüssel aber, bleibt. - Und umgekehrt.
Freudvolle Erfahrungen, mit unserem Schlüssel richtig gedeutet, nicht mit Gott verwechselt, dienen uns bei der Vorbereitung, auf die ganz gewißlich wiederkommende Zeit wieder schlechterer Erfahrungen.

Wie aber ist es nun mit Jes, der von all dem ja noch keine Ahnung hatte, als er schrieb? In welchem Sinn ist seine Literatur Wort Gottes, Altes Testament? Der Autor schrieb ja historisch gesehen nicht am Alten Testament, sondern an der Schrift der Juden! Was denkt der Jude, der denselben Wortlaut liest wie wir?! Was denkt der Christ, der das Buch des Juden nicht mehr »Gesetz und Propheten« nennt, »Schrift Israels«, sondern Altes Testament?

Die übliche Botenspruchformel eröffnet die dreigliedrige Heilsankündigung, die wir eben hörten. Mit der Angabe des letzten Sinns des angekündigten Heils endet die Botenspruchformel. Elementen des Hymnus (16b - 17d) und der Mahnung (18) folgen Elemente der Verheißung (19 - 21) und darin seelsorgenden Zuspruchs (19b): »Ist es denn nicht so (wie auch in 40, 28!)?« - Es sind drei Strophen der Verheißung; je ein zweigliedriger Parallelismus membrorum mit einer Ausnahme: ein dreigliedriger Parallelismus, der dem angekündigten Geschehen mit der verfolgten Absicht Jahwes besonderes Gewicht gibt: »zu tränken mein Volk«. (Die Aussage in Jes 43, 14f erfährt durch unsere Stelle die notwendige Ergänzung.) Die Botenspruchformel, mit der unser Text beginnt, ist durch einen kleinen Hymnus erweitert. Er verfolgt nur einen Zweck: Er wirft für die jetzt folgende Heilsankündigung die Autorität desselben Herrn in die Waagschale, der in der Urzeit Israels mit der Großmacht Ägypten fertig geworden ist (2 Mose 14; Ps 77, 14-21; 78).

Kein Prediger braucht sich der Mühe zu unterziehen, bei jedem Einzelnen der Hörer zu entdecken, was denn nun bei ihm die Großmacht Ägyptens ist; wie auch jeder Hörer selbst entdecken kann, wie brüchig inzwischen diese Großmacht Ägypten bei ihm geworden und durch welches Glaubensgespräch sie brüchig geworden ist bei ihm. So oder so: Das angekündigte Heil wird den zweiten Exodus bestimmt nicht verhindern - wer oder was dieser zweite Exodus bei diesem oder jenem Hörer auch sein wird?! -.

In dieser ersten Strophe werden (nur) drei Phasen des Schilfmeerwunders vorgeführt - in je zwei Halbzeilen -: Das Bahnen des Weges - für Israel wohlgemerkt! (16 b - c, vgl. 2 Mose 14, 21f). Die Gegner setzt Gott selbst in Bewegung, das Nachsetzen des feindlichen Heeres provoziert Gott selbst (17 a - b, vgl. 2 Mose 14, 23). Er auch läßt sie auflaufen und enden - schon in Jes Vorstellung nicht die Feinde selbst, aber die Feindesmacht (17 c - d, vgl 2 Mose 14, 28.30)!

Drei Phasen des Schilfmeerwunders
Das Bahnen des Weges - die Gegner werden von Gott in Bewegung gesetzt. Er nimmt ihnen auch die Wirkung. [Dtjes kennt den Mythos - 51, 9f - nach dem der Sieg des Schöpfers über die »starken Wasser« (16 c, vgl. 2 Mose 15, 10; Ps 77, 20; 93, 4) beim Schilfmeerwunder nicht nur der Sieg zugunsten seines auserwählten Volkes ist oder interpretiert werden kann, sondern als Sieg des Schöpfers über die kosmische Chaosmacht, den Urozean.] In hämmerndem Staccato läßt Dtjes »Wagen und Roß, Heer und Kraftprotzen« Pharaos ausziehen, aber statt der an dieser Stelle nun zu erwartenden Sieges-Vollzugs-Meldung folgt abrupt ein totaler Untergang. In der wirkungsvoll gerafften Schilderung, wenn ich Ihr Urteil mal so veranschlage, finden sich viele Worte der Schilfmeerwunderfassung (2 Mose 14) der Priesterschrift; sie sticht dennoch von dieser ab: Alles ist konzentriert auf Jahwe, der alle Fäden in der Hand hat - und zieht. Anders als in 2 Mos 14 ist Jahwe das einzig handelnde Subjekt: Mose Mitwirkung wird nicht einmal erwähnt (vgl. 2 Mos 14, 21); die Ägypter werden dargestellt, als hätte es ihren Entschluß zur Verfolgung nie gegeben (vgl.14,23): Jahwe hat alle Fäden in der Hand, und er zieht sie.
18 Denkt nicht an das Frühere, das Vorige - befaßt Euch nicht (mehr) damit!
19
Siehe, ich vollbringe Neues, jetzt sproßt es, merkt Ihr's denn nicht? Ja, ich lege in der Wüste einen Weg, in der Einöde Pfade.

In der zweiten Strophe haben wir das Kernstück der dreistrophigen Verheißung. In V 18 werden wir gemahnt, alle Aufmerksamkeit, ja alle Sinne zu schärfen, achtzugeben auf das, was jetzt wächst: Eine völlig veränderte Welt, eine durch Kyros’ Siegeszug neue Lage für Israel. Zeugen des Heranreifens seien wir. Ob wir das nicht spürten?! Einem Geschichtsereignis von epochaler Bedeutung, so des Propheten Eindringlichkeit, brauchten wir nicht wie Historiker zu begegnen. Immer zu spät, meist lähmend fixiert auf Vergangenheit; in der Regel selbst dann voll fatalistischer Apathie, wenn es darum geht, für Gegenwart und Zukunft gewinnbringenden Nutzen zu ziehen. - Kurzum, eine lebendige Warnung vor gefährlicher Überbewertung aller »früheren Dinge«, des »Vorherigen«. Es ist schon erforderlich, aller Sinne Aufmerksamkeit auf diese prophetische Ansage zu richten. Einerseits bezieht sie ihre Glaubwürdigkeit aus der gerade in Erinnerung gerufenen Tatsache, daß es Jahwes Art von Anfang an ist herauszuführen, andererseits gilt für alles andere - mit dem Volksmund gesprochen - "Das kannst Du vergessen!" Hauptsache, Du siehst Dich angesprochen, siehst Deine Seele in Bewegung gesetzt, Dich mit der Freude infiziert. - Worum geht es?! In den Versteilen 19 c - d steht es: Über bisherige Exodus-Erfahrung hinaus wird die Wüste wunderbar begehbar gemacht. Vordergründig-historisch sind die Mittel und Wege gemeint, auf denen der Fuß der Exulanten gehen und nach Zion heimkehren kann. Im Hintersinn aber ist gemeint: Sie sollen "leben", denn der "Weg" ist Symbol des Lebens in biographischer Erstreckung.

Die dritte Strophe
20 Es wird mich das Wild des Feldes ehren, Schakale und Straußenvögel; ja, ich gebe in der Wüste Wasser, Ströme in der Einöde, zu tränken mein Volk, mein erwähltes.
21 Das Volk, das ich mir geformt habe - meinen Ruhm sollen sie erzählen. (Werner Grimm / Kurt Dittert) schildert das Heil weiter und daß es sich in der Ehre Gottes vollendet. Die Schlüsselfunktion hat V 20 e, der schon weit weiter ist als die Mehrzahl unserer Zeitgenossen: Es geht Jahwe nicht um eine Demonstration seiner Wundermacht, es geht ihm auch nicht um die Natur an sich. Er verwandelt vielmehr die Wüste in eine Oase - in der gezielten Absicht, »mein Volk, mein erwähltes, zu tränken. Wieder vordergründig-historisch: dem Trinkwasserproblem auf dem Heimweg nach Jerusalem gilt Jahwes vorrangige Aufmerksamkeit; hintergündig jedoch wird Jahwe als der Gott proklamiert, der seine Geschöpfe »mit allem, was not tut für Leib und Seele, reichlich und täglich versorgt« (Martin L.). Nehmen Sie meinen Schlafsack mit auf Ihren nächsten Trip ins »Heilige« Land. Sollte Ihnen nach einer Nacht in der Wüste das furchtbare Geheul der Schakale und Strauße anderswo sitzen, als in Mark und Bein, dürfen Sie ihn behalten. Grotesk, aber das ist gemeint: Jene Wüstentiere machen mit, sie stimmen mit ein in den ehrenden Lobpreis Gottes und machen die Urklage des Geschöpfs - Mi 1, 8 - vergessen. Ein Grundzug der Verkündigung Dtjes: Die Kreatur, Pflanzen- und Tierwelt, sind ins Heilsgeschehen einbezogen, sie können ihren Willen nicht mißbrauchen, sie nicht. - Grenzenloser Jubel, ob Sie - statt sich zu beteiligen - darüber streiten, ob hier Sprengung der schöpfungsmäßigen Begrenzung gemeint ist oder nicht.

Statt diese Predigt zu Ende zu bringen,
- das Verhältnis des Textes im Verständnis des ersten Blicks,
des der Juden z.B.,
- zum Verständnis des Textes im zweiten Blick,
dem Gottes z.B., noch zu bringen,

ein zweiter Versuch
Nehmen wir einmal an, wir hätten schon ausreichend Informationen zum Verständnis des Textes aus Jes und wollten uns jetzt und hier nur noch einmal klarmachen, wie wir an den ursprünglichen Text herangehen, um ihn nicht nach Art der »Schrift Israels« zu lesen wie die Juden, sondern als »Altes Testament«. Botschaft des Neuen Testaments ist Gottes bedingungslose Liebe zum Sohn, Gottes Wort, in die alle Schöpfung von ihrem Anfang an hineingenommen ist. Wer hört, so mitgeliebt zu sein, hört, Schöpfung »in Christus« zu sein. - Klar, daß Christen nichts anderes mehr lesen als diese Botschaft Jesu. Jedenfalls solange ihnen dieses Evangelium unbegrenzten Verzeihens von niemandem widerlegt wird. -

Hier lesen wir die wissenschaftliche Arbeitsübersetzung des Dtjes, die sich in diesen Blättern auf Seite 2 (es waren Arbeitsblätter an alle in der Kirche ausgeteilt worden.) findet. Christen interpretieren die »Schrift Israels« solange um, bis sie dasselbe sagt wie das NT, ebenfalls ausschließlich glaubenswürdig ist, durch nichts anderes als Glauben - im Sinn Jesu! - zu verifizieren, durch keinerlei Weltläufte zu widerlegen.

In drei Schritten funktioniert diese Uminterpretation; durch drei Siebe wird der Text gegeben, bis man ihn wie Gott versteht, als seinen eigenen Sohn, das »Wort Gottes«, wie es in Bibel und auch Liturgie oft heißt.
1 Das Wort ist Gott selbst.
2 Das Wort, das uns interessiert, ist Gott selbst.
3 Das Wort, das sich für uns interessiert, ist Gott selbst.

Zunächst wird mal in einem ersten Schritt bestritten, daß die Schrift Israels in dem Sinn Wort Gottes ist, in dem sie dafür gehalten wurde. Schluß mit dem willkürlichen Gewürfel zwischen Amos 3, 2 und Amos 9, 7, mal »Israel, Israel über alles, über alles in der Welt!« und mal Israel vor dem unbestrittenen Zweifel, etwas exclusiv Besonderes zu sein. -
Wir bestreiten, daß wir für die geschicktesten Maße einer kleinen Bundeslade auf eine Offenbarung angewiesen sind. In Inch, Zoll oder Tagereisen allein offenbart sich Gott persönlich schon mal gar nicht. Von der Selbstoffenbarung in Christus Jesus lassen wir nicht zugunsten einer Willensoffenbarung. (Die Religionen haben keine Selbstoffenbarung; Christen brauchen keine Willensoffenbarung: dass unendliche Liebe bekannt werden will - darauf kommt jeder von allein.)

[Der letzte Satz, der in runden Klammern, ist nicht rot, sondern schamrot: genau muß er nämlich heißen, wie hier folgt: Wir können den angehörigen der großen Religionen sagen, auf welche Art und Weise gelesen auch ihre jeweilige Schrift zu sich selbst kommt, auf welche Weise auch sie universal verkündbar wird, d.h. jeden Menschen angeht, sich 2. auf alles bezieht und 3. unüberbietbar längst erfüllt ist. - Christen können sagen, wie alle Offenbarungen des Willens Gottes in deren Schriften solche im weiten Sinn sind, zusammenlaufen in dem Willen Gottes, dass seine unüberbietbare Liebe und anderes nicht gepredigt wird.]

Daß eine Beschneidung von Nutzen, lehrt uns da der Sand, wo er zuhauf herumliegt. - Am Ende der Mühen solcher Relativierung bleibt die Schrift Israels nur als Aussage übrig, die weder in der Welt gefunden werden kann noch durch hohe Geister widerlegt werden kann.

Im zweiten Schritt deuten wir diese schon ganz anders als ursprünglich verstandene Aussage in bezug auf das ganze Volk. Israel wird von seinem Glück nichts genommen, wenn es dabei auch vom auserwählten Volk zum Völkchen wird. »Universalisierung« nennen wir das, was zur universalen Bildung jedes Gefirmten einfach dazugehört. Nun haben wir eine ausschließlich glaubenswürdige Aussage, die sich nicht nur auf das Volk Israel bezieht. Genau genommen haben wir jetzt jeden Satz der Schrift Israels so gedeutet, daß er
a unüberbietbar Gutes sagt - zu anderem bedarf es ja keiner Offenbarung Gottes, überbietbar Gutes gewinnen wir im Lotto - und daß er
b dieses unüberbietbar Gute über jeden Menschen sagt.

Jetzt fehlt nur noch, daß das unüberbietbare Gutsein jedes Menschen auch endgültig ist, also universal verkündbar. Widmen wir uns im dritten Schritt dieser »Erfüllung«; sie macht die Schrift Israels in neuer Weise, nämlich neutestamentlich verstehbar. Nicht wir erfüllen die Schrift, nicht wir sind Zeugen, wie vorausgesagte Ereignisse nachträglich eintreffen, sondern Gottes Sohn selbst ist Zeuge dafür, daß nun jede Aussage der Schrift Israels endgültig sinnvoll verständlich und wahr ist. Jede Aussage ist Er selbst. Gottes Wort ist Gott. Lieben Menschen aus sich heraus schon rein, aber nicht unüberbietbar, sondern immer wieder durch Atmen und Herzschlag beeinträchtigt und unterbrochen, so liebt Gott in seiner Unbegrenztheit genau so ununterbrochen und ungehindert, wie es sein Wort sagt: Gott liebt die Schöpfung in seiner Liebe zum Sohn wie seinen Sohn. Der Geist dieses Wortes ist Gott selbst. Wir titulieren das Wort »Christus«.

Ohne die Gottheit mit der Menschheit zu vermischen oder von ihr zu trennen, nennen wir den Menschen, der uns Christus erstmals sagte, Jesus. Wir können also die drei Schritte von der Schrift Israels zum Alten Testament, in dem nun dasselbe gelesen wird wie im NT, auch so nennen:
- von Welt zu Gott,
- von Jesus zu Christus,
- von Jesus zu Christus Jesus.
Es ist ja auch der gedankliche Nachvollzug der Menschwerdung Gottes.

1 Das Wort ist Gott selbst. -
Üben wir den ersten Schritt, die Relativierung, an der ersten Strophe. Machen wir uns den ersten Schritt des Weges von Jesus zu Christus am ersten Drittel des Textes klar: 16 So spricht Jahwe, der im Meer einen Weg bahnte und in starken Wassern einen Pfad, 17 der ausziehen ließ Wagen und Roß, Heer und Kraftprotzen, vereint zusammen. Da liegen sie und stehen nicht mehr auf, erloschen sind sie, wie ein Docht verglommen. Im Meer einen Weg bahnen - wenn das in dem Sinn zu verstehen ist, daß Kartographen wieder von vorn anfangen müssen, lohnt die Aussage überhaupt nicht. Man kann nicht glauben, sondern beweisen, daß Meer und Wege und deren eventueller Tausch miteinander nicht ohne Gott sein können. - Es bleibt am Ende der Mühe der Relativierung nur ein Verständnis, nach dem Gott selbst der Weg durch das Meer ist.

2 Das Wort, das uns interessiert, ist Gott selbst.
Üben wir den 2. Schritt, die Universalisierung, an der 2. Strophe. - Jesus ist jetzt schon nur noch glaubbar, ein gangbarer Weg durch die Welt; aber wohl noch leicht zu verfehlen. 18 Denkt nicht an das Frühere, das Vorige - befaßt Euch nicht (mehr) damit! 19 Siehe, ich vollbringe Neues, jetzt sproßt es, merkt Ihr's denn nicht? Ja, ich lege in der Wüste einen Weg, in der Einöde Pfade. Aus Gott selbst als Weg durch die Welt wird in der Universalisierung die ganze Welt als ein einziger Weg. Wir sehen die ganze Welt als Gott. Nicht mehr zu verfehlen, allerdings zu verweigern. Dummes Zeug aber alles, wenn es nicht gelingt, das »als« aufzulösen: »... die ganze Welt als Gott!« - Denn natürlich machen wir nicht mit, wenn uns einer Welt als Gott verkaufen will, wenn gemeint ist, daß Gott und Welt dasselbe seien. - Sehen wir Jesus, der nun schon nicht nur glaubbar, sondern universell glaubbar ist, in dieser Glaubenswürdigkeit 3. auch noch als restlos erfüllt an:

3 Das Wort, das sich für uns interessiert, ist Gott selbst.
Die Erfüllung. Gott als Welt, als jeder Weg in der Welt. Alles Weltliche ist Gott selbst als Weg.
20 Es wird mich das Wild des Feldes ehren, Schakale und Straußenvögel; ja, ich gebe in der Wüste Wasser, Ströme in der Einöde, zu tränken mein Volk, mein erwähltes. 21 Das Volk, das ich mir geformt habe - meinen Ruhm sollen sie erzählen.
Wohin mit dem »als«?! Wie ist das »als« zu füllen, damit die Aussage gefüllt ist, damit Gott und Welt nicht identisch erscheinen oder gar sind. - Erfüllt ist die Aussage, daß die ganze Welt uns Weg ist, ein nicht einmal mehr zu gehender Weg, ein Weg, dessen Anfang und Ziel zusammenfallen - und außer Gottes Mühe jede andere Mühe ersparend, durch die Menschwerdung, durch das Erscheinen dieser grenzenlosen Liebe mitten im begrenzten mitmenschlichen Wort - Gottes Wort als menschliches Wort, Gottes Wort in mitmenschlichem Wort; Gott, der unbegrenzte, in begrenztem Wort, dessen Sinn unbegrenzt ist: heilig.
Wir können dieses Wort sagen und singen, schreiben und vom Berg faxen, vor dem Aufstehen hören, zur Guten Nacht den Nachtwächtern summen - das Wort, das Gott ist, ist von göttlicher Natur - durch keine weltliche Macht eingrenzbar. Die Welt hat ganz und gar und samt und sonders und bedingungslos zu dienen. Uns. Gott schenkt sie uns, uns darin, in der konkreten Welt, seine unermeßliche Liebe gefallen zu lassen; zu glauben im Sinn seines Sohnes, der in uns Mensch wird und für uns Mensch wird, damit wir ihn essen und trinken können. Gehört haben wir ihn schon.

PS Die Warnung, die Gottheit und die Menschheit weder voneinander zu trennen (große Mode in der Kirche!) noch miteinander zu vermischen (große Mode in der Kirche!), (sondern in der Beziehung zueinander zu sehen, in der sie zueinander stehen: Die Gottheit wirkt sich auf die Menscheit so - und nur so - aus, dass er die Sünde ließ) - bezieht sich (auch) auf diese Predigt: Ihr Gehalt ist Gott, ihr Gewand ist Welt, Mensch, meine Worte und Gedanken. - Mit anderen Worten: Die Formulierung »In drei Etappen von Jesus zu Christus« ist gewagt, wozu auch sonst gemacht?! Die Schritte fallen in eins!

Es gehört zum Hören, von dem der Glaube kommt (Röm 10, 17), daß solange geübt wird, die Schrift Israels als Christ zu lesen, bis man z.B. auf einmal »Gott, der die Feinde vernichtend schlägt« relativiert, universalisiert und erfüllt so liest, daß er auch die Menschen so in sein Herz geschlossen hat, die uns feindlich erscheinen. Gottes Herz ist nur Liebe, Herz nur ein anderes Wort für Gott.


21. März 1999 (05.04.92)
5. Fastensonntag
-- Phil 3, 8 - 14 -- Joh 8, 1 - 11