In drei Schritten ... Jes 43, 16 - 21 Hören wir zu Beginn der Predigt noch einmal den Text aus Dtjes, die heutige Erste Lesung. - Zu Beginn der Predigt, nicht vor der Predigt! ... Es handelt sich um eine Übersetzung, die Ihnen gestern nachmittag, als Sie sich vielleicht auf den Gottesdienst vorbereiteten, gewiß nicht zur Verfügung stand. Lehrer scheinen zur Zeit sehr im Sperrfeuer der Kritik zu stehen. Manche helfen sich mit der Unterscheidung: »Nein, ich habe nicht schul-, sondern unterrichtsfrei!« Ich brauchte neulich solchen Tiefsinn nicht zu bemühen, als ich an meinem unterrichtsfreien Tag im Treppenhaus erwischt wurde: »Ha, keine Schule?!« Mein Hinweis auf die nächste Predigt - diese hier - statt Unterricht, genügte vollauf, den anderen Pater abzulenken. Erst wurde er wißbegierig, dann sprudelte er los. Er biß aber keineswegs an der alles entscheidenden Weichenstellung an: Ich sagte, »mit« Jes predigen zu wollen. Aber das schien er zu überhören. Er schritt aber ein, als er verstand, Jes nicht an der üblichen Stelle zu bringen, an der Stelle der »Ersten Lesung«. - Der Unterschied zwischen einer Predigt »mit« Jes, »mit« Mt oder »mit« Lk und einer Rede »über« Lk, »über« Mt oder »über« Jes war ihm nicht geläufig, wie sich auch hier noch zeigen wird. »Mit Jes predigen zu wollen«, hatte nicht provoziert. Aber sein Mißverständnis, den Jes-Text nicht als Erste Lesung zu bringen, sondern erst nach der Zweiten Lesung und nach der Dritten, dem Evangelium, wie er meinte, vor (!) der Predigt, dieses Mißverständnis ließ seine mitbrüderliche Besorgnis wach werden und zu einem ausgedehnten Treppenhausgespräch auswachsen. - Der Pater warnte, die offizielle Verkündigung der Kirche zu kürzen oder gar zu verfälschen. Es sei immer eine Verfälschung, wenn eine Schriftstelle nicht an der gebotenen Stelle gelesen würde, sondern an anderer. Zwangsläufig verließe man dann den wirklich offiziellen Charakter kirchlicher Verkündigung und trüge die Stelle dann auch mehr oder weniger als Privatperson, mit ganz anderem, mit eigenem Engagement vor, auf gänzlich subjektive Art und damit als verfälscht. - Er erinnere sich genau an seine Vikarsjahre, in denen er immer wieder parallel zur lateinischen Lektüre des Pfarrers am Altar den Kindern im Gottesdienst die Heilige Schrift in deutscher Sprache verlesen hätte; das hätte immer so subjektiv und persönlich geklungen, obwohl er es doch ernst gemeint habe. So würde aus Gotteswort ganz schnell Menschenwort. - Am Mittag beerdigten wir dann einen unserer nebenamtlichen ehrenamtlichen Pförtner ... Wir haben kein Wort [Gottes!], das nicht Gott selber
ist. - Menschen haben viele Wörter und auch viele Worte; wir haben kein
Wort [Gottes!], das nicht Gott selber ist. - In den meisten Fällen denken
wir es, in den meisten Fällen kommt das Wort Gottes - unbedingte Liebe
statt mal zuverlässiger, mal entzogener Liebe - formal nicht vor. Wir
denken es uns dann als unerläßlichen Schlüssel zum Text dazu. Das sei
zugegeben. Oder er müßte als erster Mensch in der Geschichte der Menschheit einen anderen plausiblen Grund kennen, diese oder jene Wundererzählung überhaupt zu lesen. - Wir haben kein Wort Gottes, das nicht Gott selber ist. In den meisten Fällen denken wir es, in den meisten Fällen kommt das Wort Gottes formal gar nicht vor, wir denken es uns als unerläßlichen Schlüssel zum Text dazu. Das sei zugegeben. Aber daß etwas Wort Gottes dadurch
wird, daß es zu bestimmter Zeit gelesen wird, von bestimmtem Platz?!
Daß das Wort Gottes unendlicher Zuneigung in unendlicher Geduld diesen
Charakter, Gott selbst zu sein, dadurch verlöre, daß ich es lebhaft und
gestikulierend Kindern sage?! Wir haben kein Wort Gottes, das nicht Gott
selber ist. Für Glaubende ist alles Spiegelbild
des Himmels, wie für Nichtglaubende ausnahmslos alles
Spiegelbild der Hölle ist. So wenig es so ist, daß Gott, der sein Wort
ist, sich auf das Wort beschränkt, so wenig ist es auch erforderlich,
daß Wort Gottes als Wort Gottes tatsächlich reflektiert wird, um Wort
Gottes zu sein: Dasselbe etwas ernster und hier nicht zum erstenmal: Als ich meinem Vater sagte, er habe Krebs und nur noch Wochen hier, war seine tränenerstickte Reaktion wörtlich: »Das macht nichts, ich bleibe in der Liebe des Vaters zum Sohn!« - Alles ist Spiegelbild des Himmels: Auch wenn der Tag Ihrer Goldenen Hochzeit zusammenfällt mit dem der Entlassung aus dem Krankenhaus, dem Hauptgewinn im Lotto und dem zweiten Nobelpreis für Ihren Jüngsten, ist das alles nichts, gemessen mit Ihrem längst garantierten Sitzen zur Rechten des Vaters, an das Sie nun aber bestimmt auf der Heimfahrt von der Klinik dankbar denken. Nichts anderes, die Welt kann machen, was sie will, nichts anderes umgibt uns. Alles Spiegelbilder des Himmels, widerspruchslos deutbare Zeichen der unüberbietbaren Geborgenheit in Gott. Die zwei Beispiele für die Extreme des Leids und der Freude mögen genügen. Im einen Fall gibt es gar keinen Grund zu verzweifeln,
die Not selbst hat uns zu dienen,
uns zu verweisen auf den grundsätzlich gütigen Vater, der das Heft in
der Hand behält. Wie aber ist es nun mit Jes, der von all dem ja noch keine Ahnung hatte, als er schrieb? In welchem Sinn ist seine Literatur Wort Gottes, Altes Testament? Der Autor schrieb ja historisch gesehen nicht am Alten Testament, sondern an der Schrift der Juden! Was denkt der Jude, der denselben Wortlaut liest wie wir?! Was denkt der Christ, der das Buch des Juden nicht mehr »Gesetz und Propheten« nennt, »Schrift Israels«, sondern Altes Testament? Die übliche Botenspruchformel eröffnet die dreigliedrige Heilsankündigung, die wir eben hörten. Mit der Angabe des letzten Sinns des angekündigten Heils endet die Botenspruchformel. Elementen des Hymnus (16b - 17d) und der Mahnung (18) folgen Elemente der Verheißung (19 - 21) und darin seelsorgenden Zuspruchs (19b): »Ist es denn nicht so (wie auch in 40, 28!)?« - Es sind drei Strophen der Verheißung; je ein zweigliedriger Parallelismus membrorum mit einer Ausnahme: ein dreigliedriger Parallelismus, der dem angekündigten Geschehen mit der verfolgten Absicht Jahwes besonderes Gewicht gibt: »zu tränken mein Volk«. (Die Aussage in Jes 43, 14f erfährt durch unsere Stelle die notwendige Ergänzung.) Die Botenspruchformel, mit der unser Text beginnt, ist durch einen kleinen Hymnus erweitert. Er verfolgt nur einen Zweck: Er wirft für die jetzt folgende Heilsankündigung die Autorität desselben Herrn in die Waagschale, der in der Urzeit Israels mit der Großmacht Ägypten fertig geworden ist (2 Mose 14; Ps 77, 14-21; 78). Kein Prediger braucht sich der Mühe zu unterziehen, bei jedem Einzelnen der Hörer zu entdecken, was denn nun bei ihm die Großmacht Ägyptens ist; wie auch jeder Hörer selbst entdecken kann, wie brüchig inzwischen diese Großmacht Ägypten bei ihm geworden und durch welches Glaubensgespräch sie brüchig geworden ist bei ihm. So oder so: Das angekündigte Heil wird den zweiten Exodus bestimmt nicht verhindern - wer oder was dieser zweite Exodus bei diesem oder jenem Hörer auch sein wird?! -. In dieser ersten Strophe werden (nur) drei Phasen des Schilfmeerwunders vorgeführt - in je zwei Halbzeilen -: Das Bahnen des Weges - für Israel wohlgemerkt! (16 b - c, vgl. 2 Mose 14, 21f). Die Gegner setzt Gott selbst in Bewegung, das Nachsetzen des feindlichen Heeres provoziert Gott selbst (17 a - b, vgl. 2 Mose 14, 23). Er auch läßt sie auflaufen und enden - schon in Jes Vorstellung nicht die Feinde selbst, aber die Feindesmacht (17 c - d, vgl 2 Mose 14, 28.30)! Drei Phasen des Schilfmeerwunders In der zweiten Strophe haben wir das Kernstück der dreistrophigen Verheißung. In V 18 werden wir gemahnt, alle Aufmerksamkeit, ja alle Sinne zu schärfen, achtzugeben auf das, was jetzt wächst: Eine völlig veränderte Welt, eine durch Kyros Siegeszug neue Lage für Israel. Zeugen des Heranreifens seien wir. Ob wir das nicht spürten?! Einem Geschichtsereignis von epochaler Bedeutung, so des Propheten Eindringlichkeit, brauchten wir nicht wie Historiker zu begegnen. Immer zu spät, meist lähmend fixiert auf Vergangenheit; in der Regel selbst dann voll fatalistischer Apathie, wenn es darum geht, für Gegenwart und Zukunft gewinnbringenden Nutzen zu ziehen. - Kurzum, eine lebendige Warnung vor gefährlicher Überbewertung aller »früheren Dinge«, des »Vorherigen«. Es ist schon erforderlich, aller Sinne Aufmerksamkeit auf diese prophetische Ansage zu richten. Einerseits bezieht sie ihre Glaubwürdigkeit aus der gerade in Erinnerung gerufenen Tatsache, daß es Jahwes Art von Anfang an ist herauszuführen, andererseits gilt für alles andere - mit dem Volksmund gesprochen - "Das kannst Du vergessen!" Hauptsache, Du siehst Dich angesprochen, siehst Deine Seele in Bewegung gesetzt, Dich mit der Freude infiziert. - Worum geht es?! In den Versteilen 19 c - d steht es: Über bisherige Exodus-Erfahrung hinaus wird die Wüste wunderbar begehbar gemacht. Vordergründig-historisch sind die Mittel und Wege gemeint, auf denen der Fuß der Exulanten gehen und nach Zion heimkehren kann. Im Hintersinn aber ist gemeint: Sie sollen "leben", denn der "Weg" ist Symbol des Lebens in biographischer Erstreckung. Die dritte Strophe Statt diese Predigt zu Ende zu bringen, ein zweiter Versuch Hier lesen wir die wissenschaftliche Arbeitsübersetzung des Dtjes, die sich in diesen Blättern auf Seite 2 (es waren Arbeitsblätter an alle in der Kirche ausgeteilt worden.) findet. Christen interpretieren die »Schrift Israels« solange um, bis sie dasselbe sagt wie das NT, ebenfalls ausschließlich glaubenswürdig ist, durch nichts anderes als Glauben - im Sinn Jesu! - zu verifizieren, durch keinerlei Weltläufte zu widerlegen. In drei Schritten funktioniert diese Uminterpretation;
durch drei Siebe wird der Text gegeben, bis man ihn wie Gott versteht,
als seinen eigenen Sohn, das »Wort Gottes«, wie es in Bibel
und auch Liturgie oft heißt. Zunächst wird mal in einem
ersten Schritt bestritten, daß die Schrift Israels in dem Sinn Wort Gottes
ist, in dem sie dafür gehalten wurde. Schluß mit dem willkürlichen Gewürfel
zwischen Amos 3, 2 und Amos 9, 7, mal »Israel, Israel über alles, über
alles in der Welt!« und mal Israel vor dem unbestrittenen Zweifel, etwas
exclusiv Besonderes zu sein. - [Der letzte Satz, der in runden Klammern, ist nicht rot, sondern schamrot: genau muß er nämlich heißen, wie hier folgt: Wir können den angehörigen der großen Religionen sagen, auf welche Art und Weise gelesen auch ihre jeweilige Schrift zu sich selbst kommt, auf welche Weise auch sie universal verkündbar wird, d.h. jeden Menschen angeht, sich 2. auf alles bezieht und 3. unüberbietbar längst erfüllt ist. - Christen können sagen, wie alle Offenbarungen des Willens Gottes in deren Schriften solche im weiten Sinn sind, zusammenlaufen in dem Willen Gottes, dass seine unüberbietbare Liebe und anderes nicht gepredigt wird.] Daß eine Beschneidung von Nutzen, lehrt uns da der Sand, wo er zuhauf herumliegt. - Am Ende der Mühen solcher Relativierung bleibt die Schrift Israels nur als Aussage übrig, die weder in der Welt gefunden werden kann noch durch hohe Geister widerlegt werden kann. Im zweiten Schritt deuten
wir diese schon ganz anders als ursprünglich verstandene Aussage in bezug
auf das ganze Volk. Israel wird von seinem Glück
nichts genommen, wenn es dabei auch vom auserwählten Volk zum Völkchen
wird. »Universalisierung« nennen wir das, was
zur universalen Bildung jedes Gefirmten einfach dazugehört. Nun haben
wir eine ausschließlich glaubenswürdige Aussage, die sich nicht nur auf
das Volk Israel bezieht. Genau genommen haben wir jetzt jeden Satz der
Schrift Israels so gedeutet, daß er Jetzt fehlt nur noch, daß das unüberbietbare Gutsein jedes Menschen auch endgültig ist, also universal verkündbar. Widmen wir uns im dritten Schritt dieser »Erfüllung«; sie macht die Schrift Israels in neuer Weise, nämlich neutestamentlich verstehbar. Nicht wir erfüllen die Schrift, nicht wir sind Zeugen, wie vorausgesagte Ereignisse nachträglich eintreffen, sondern Gottes Sohn selbst ist Zeuge dafür, daß nun jede Aussage der Schrift Israels endgültig sinnvoll verständlich und wahr ist. Jede Aussage ist Er selbst. Gottes Wort ist Gott. Lieben Menschen aus sich heraus schon rein, aber nicht unüberbietbar, sondern immer wieder durch Atmen und Herzschlag beeinträchtigt und unterbrochen, so liebt Gott in seiner Unbegrenztheit genau so ununterbrochen und ungehindert, wie es sein Wort sagt: Gott liebt die Schöpfung in seiner Liebe zum Sohn wie seinen Sohn. Der Geist dieses Wortes ist Gott selbst. Wir titulieren das Wort »Christus«. Ohne die Gottheit mit der Menschheit zu vermischen
oder von ihr zu trennen, nennen wir den Menschen,
der uns Christus erstmals sagte, Jesus. Wir können also die drei Schritte
von der Schrift Israels zum Alten Testament, in dem nun dasselbe
gelesen wird wie im NT, auch so nennen:
21. März 1999
(05.04.92) |