Beerdigst Du mich
bitte nächste Woche?!
Michael S.
Erzengel
*
28. Januar 1997
*
23. Oktober 1966
»Ist Gott für Michael und war es immer
schon, wer kann dann wider ihn sein? Wer wollte ihn oder uns scheiden
von der Liebe Gottes? Weder Tod noch
Leben, weder Hohes noch Tiefes konnten noch können weder ihn noch
uns scheiden von der Liebe Gottes. - Denn also hat Gott mit der ganzen
Welt auch Michael in seine Liebe aufgenommen, daß er seinen einge-borenen
Sohn gab, damit auch alle, die das jetzt hören und dann an ihn glauben,
das ewige Leben haben: es freudig in Besitz nehmen, sofort auch in Anspruch«
(vgl. Röm 8,31ff und Joh 3,16).
Jesus Christus spricht: »Ich bin die Auferstehung und das Leben.
Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt« (Joh.[!] 11,25). Ich habe hier Michaels Sterbeanzeige in der Hand. - Die meisten Sterbeanzeigen
sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Diese hier macht eine
Ausnahme. Michaels Anzeige kam gestern in Köln an. Ich habe mich
sehr über Gestaltung und Text gefreut. - Im Hotel bat ich gestern
abend allerdings zunächst um eine Schere und schnitt den Rand ab:
Wir brauchen einen solchen schwarzen Rand nicht. Wir singen in Gottes
Dienst an uns jetzt und auch nachher auf dem Friedhof nur »weiße«
Lieder. Besonders habe ich mich über den Punkt gefreut. »Jesus sagt:
Ich bin die Auferstehung
Wer [an] mich glaubt,
«
(Joh.[!] 11,25). Alle [Christen] sind auferstanden seit Zeugung und
Geburt: Ich bin die Auferstehung, und zwar mitten unter Euch. Ich
werde nicht irgendwann einmal auferstehen und Euch zwischenzeitlich allein
lassen. So steht es auf der Visitenkarte Jesu, und die las ich vor. Dann
kommt hier in der Sterbeanzeige ein Punkt, ein wesentlicher Punkt. Er
steht mitten in der Angabe der Stelle, aus der das Zitat stammt: »Johannes,
Punkt, 11,25«. - Hier läßt sich die evangelische
Handschrift der Person erkennen, die die Anzeige gestaltet hat. Bei katholischen
Christen fehlt nämlich dieser Punkt. Der harmlose Punkt bietet Gelegenheit, aus der Einleitung des Dienstes
Gottes eben zu wiederholen: Die römisch-katholische Kirche lehrt,
mit der Autorität des Konzils, auf dem II. Vatikanum in Lumen
Gentium Nr. 15: »Zwischen allen, die an Jesus Christus glauben,
besteht [Gegenwartsform!] eine wahre Verbindung im Heiligen Geist.« Das Thema Oekumene ist also überflüssig. Fragen sich lieber die
katholischen Christen, dieser Einladung des Konzils folgend, ob sie katholisch
sind, und nehmen wir hier derweil schon den Dienst Gottes in dieser Feier
voll und ganz in Anspruch: Wenn der Sohn Gottes für die Einheit betet,
ist er dabei, so wie ich den Vater kenne, erfolgreich. Es gibt in der
Christenheit nur erfüllte Gebete. Dann kommt in der Sterbeanzeige ein Satz, der ganz wichtig ist. Ich bringe
ihn mal ohne jede Betonung: »Nach schwerer Krankheit hat Michael
seinen Lebensweg in Frieden vollendet.« - Übliche Christen
würden lesen: »Nach schwerer Krankheit hat unser Erzengel Michael
seinenLebensweg in Frieden vollendet.« So ist es nicht.
Wir säßen hier vergeblich. - Michael hätte in der
zehnten Klasse folgendermaßen betont: Nach schwerer Krankheit hat
unser Erzengel Michael seinen Lebensweg vollendet.
Bischof Klaus Hemmerle hat das hier Gemeinte mir gegenüber einmal
folgendermaßen kommentiert (Prediger hält Sterbeanzeige in
der linken Hand, dreht darauf einen Kreisel.) »Hier sieht man die
Ruhe in der Bewegung und die Bewegung in der Ruhe«. - So leben
wir Christen, so können wir leben wie alle anderen Menschen, wir
aber haben sie gehört, unsere Befähigung zu Leben in Gottes
Wort unbegrenzter Liebe, der Ruhe in der Bewegung und der Bewegung in
der Ruhe. Wer gehört hat, daß Gott den Menschen über jedes Maß,
daß Gott den Menschen ohne jede Bedingung mit seinem Maß liebt,
kann jederzeit von diesem Wort her neu beginnen, in völliger Gelassenheit
sich ruhig zu bewegen, in zielstrebiger Verfolgung seiner Wünsche
und Pläne die Ruhe nicht zu verlieren. Die Ruhe in der Bewegung, die Bewegung in der Ruhe, sie ist an Christen
ablesbar und an allen anonym Glaubenden auch, alle sind Spiegelbild des
Himmels, alles ist ein Spiegelbild des Himmels. - Aber: Immer wieder, wir sehen den Kreisel hier, er hat seinen Schwung verbraucht,
er liegt, weder ruhig in der Bewegung noch in seiner eigenen Ruhe bewegt,
immer wieder erlahmen wir Christen, leben nicht mehr aus dem Wort Gottes,
glauben nicht, sind gar keine Christen mehr. Wir nehmen dann unser Christseinkönnen
und Christseindürfen nicht in Anspruch. Entweder - oder: Ein
bißchen schwanger geht nicht. Dann aber besinnen wir uns wieder, von Gott, wie alle anderen Menschen
auch, mit der Liebe angenommen zu sein, in der er von Ewigkeit her seinem
Sohn zugewandt ist. Gott hat gar keine andere Liebe, etwa eine zu Dir,
eine andere zu Dir, zu Dir wieder eine andere und eine vierte vielleicht
zu Dir, er hat keine andere als die zu seinem Sohn. Gottes grenzenlose
Liebe zu uns Menschen ist der Heilige Geist; es ist ein und derselbe Heilige
Geist in Jesus von Nazaret als dem Christus wie in jedem von uns. Die
theologischen Lehrbücher nennen daher einen jeden von uns einen »alter«
Christus, einen anderen Christus, dem der für gewöhnlich Sohn
Gottes Genannte »nur« voraus hat, ohne Sünde zu sein
(vgl. Hebr 4,15; Chalkedon 451). Wenn wir sagen, daß
Jesus Christus uns »nur« voraus hat, ohne Sünde zu sein,
und wir das »nur« in An- und Abführungszeichen schreiben,
wie sie es gerade in Gedanken taten, wollen wir damit gerade herausstellen,
daß wir unsere unüberbietbare Gemeinschaft mit Gott gerade
ihm verdanken. Wir besinnen uns also und beginnen wieder die Ruhe der Bewegung, starten
inmitten der Hektik der Welt neu und in göttlicher Ruhe die Bewegung.
Der göttlichen Bewegung entsprechen wir in unserer Ruhe. Vorleistungen
unsererseits bedarf Gott nicht bei der unendlichen Zuwendung, die er einem
jeden Menschen ohne Ansehen der Person entgegenbringt. Leistungen unsererseits
sind nicht vonnöten zu solcher Ruhe in der Bewegung, zur Bewegung
in solcher Ruhe. Wir leben wieder, sind in völliger Harmonie, wir glauben - bis
zur nächsten Erschöpfung: Das ist ein Weg, unser Lebensweg.
Unser Erzengel hat diesen Weg schon vollendet. Auch während er jetzt
zuhört, ermüdet er nicht mehr in seiner Ruhe in der Bewegung,
seiner Bewegung in der Ruhe in Gott. Sein Leben hat er keineswegs in der Sterbestunde vollendet. Das Leben
der Menschen ist von all seinem Anfang an in Gott, also vollendet. Dieses
Wort glaubend anzunehmen, ist ein Weg. Ist der Glaube auch Gottes Werk
in uns, so zwingt Gott seine unüberbietbare Zuwendung doch niemandem
auf. Auf unserem Weg nehmen wir dieses Wort glaubend an, lassen es immer
wieder aber auch fallen. So wechseln unüberbietbare Freude
in uns und die unbegründbare Ablehnung dieses vollendeten Lebens
einander ab. Ein Weg, den der Erzengel der Bücher zu Gottes Linken
und unser Erzengel zu Gottes Rechten für immer und als unsere beiden
Fürsprecher hinter sich haben.
Wenn wir so wie Michael dieses Auf und Ab hinter uns haben, diesen Wechsel
zwischen Glauben und Unglauben, werden auch wir sehen, wie Michael schon
jetzt, was wir derzeit glauben: Gottes Gemeinschaft mit uns ist ein und
dieselbe und vor wie nach der Sterbestunde auch dieselbe: Sie ist absolut
befreiend, bedingungslos geschenkt, vor jeder Gefahr schützend und
im Heiligen Geist Person. [Prediger überreicht Stephan den Kreisel.] Mein Kirchenrechtslehrer wurde die rechte Hand Pater Generals in Rom. Da
wurde er gebeten, als er wieder einmal in unsere Republik kam, zu beerdigen.
Und dabei versprach er sich am Grab. Er sagte nicht: »De mortuis -
über die Verstorbenen - nihil nisi bene - nichts, es sei
denn gut.« Er versprach sich und sagte: »Über die Verstorbenen -
de mortuis nihil nisi verum - nichts, es sei denn das Wahre.« Es war kein Versprecher. Das Gute ist das Wahre, das Wahre ist das Gute.
Das Wahre bewegt sich im Guten, das Gute ruht im Wahren. Ganz gleich,
was auch immer irgendeiner von uns vor oder nach des Erzengels Sterben
von oder über ihn hörte, die Predigt bleibt dieselbe. Unendlich
mit Jesus, dem Christus, mitgeliebt zu sein, tastet - und ich hoffe,
daß mich einige unter uns jetzt genau verstehen! - keine wahre
oder unwahre Information an, mag sie auch gut sein oder auch nur richtig. Es gilt, immer dasselbe zu sagen, das unausdenkbare Wort (Röm 10,17),
daß wir endlichen Menschen der endlichen Welt ohne jede Bedingung
unendlich geliebt sind. Auch mich verdrießt es nicht, Euch hier
zum wiederholten Male zu sagen, daß Gottes Liebe zu Christus und
zu Euch dieselbe ist. Es macht Euch nur um so gewisser, daß auf
die Zuwendung Gottes absolut und jederzeit Verlaß ist (vgl. Phil 3,1). Jederzeit können wir aus diesem Wort Gottes, aus Christus persönlich
also, der, in uns lebendig, mit diesem Wort identisch ist, folgern, unerpreßbar
zu sein. Aber auch alles, auch das, wovor wir Angst haben, ist absolut ohnmächtig, uns
aus der Gemeinschaft mit Gott herauszureißen (Röm 8,38f)
[: Der wahren im Guten - dem menschgewordenen Wort in Gott -
der guten in Wahrheit: Gott im Menschen. Das ist die Wahrheit. -
Gut!]
Ich habe noch nie erlebt, daß sich jemand auf dem Sterbebett den
aussucht, von dem er beerdigt werden möchte. Ich hätte bis vor
einigen Tagen nicht zu träumen gewagt, was der Erzengel aber auch
noch tat. Michael hat auch die Predigt mit dem Prediger durchgesprochen,
die zu seiner Ehre gehalten werden sollte. Übrigens ist Michaels
Ehre des Freundes Trost - und der der Verwandten. Der Erzengel wußte zu unterscheiden zwischen der Predigt - daß
Gott jeden Menschen unter allen Umständen liebt wie seinen Sohn -
und der Art und Weise, in der das gesagt wird. Er unterschied zwischen
dem »Daß« und dem »Wie«. Die Mutter war
in der Medizinischen Hochschule dabei und ist Zeuge dafür: Was Du
predigst, laß keinen anderen ran, ist klar; nur sag mir, wie Du
es sagst. - Seine Zusammenfassung lautete wörtlich: »Ich
bin okay, in den Augen Gottes bin ich okay.« Ich habe ihm dann den blinden Bettler Bartimäus aus dem Markus-Evangelium
vorgeschlagen. Ich darf Ihnen eine Übersetzung vorlegen, bei der
Altphilologen den Urtext noch heraushören, sie ist wörtlich
(von Prof. Dr. Peter Knauer SJ). Mk 10, 46-52 Und sie kommen nach Jericho. Und als er und seine Jünger und viel
Volk Jericho verließ, saß neben dem Weg Bartimäus, der
Sohn des Timäus, ein blinder Bettler.
· Prediger teilt die Leute in den Bänken
ein, einen winzigen Bruchteil der Gekommenen als Jesu Jünger den
Rest als »viel Volk«. Und als er hörte, daß es
Jesus von Nazaret ist, begann er zu schreien und zu rufen: »Sohn
Davids, Jesus, erbarme dich meiner!« Und viele fuhren ihn an, er
solle schweigen.
· Prediger deutet auf die zuvor eingeteilten
Vielen ...
Er aber schrie noch viel mehr: »Sohn Davids, erbarme dich
meiner!«
Und Jesus blieb stehen. Er sagte: »Ruft ihn!«
Und sie rufen den Blinden und sagen ihm: »Hab Mut! Steh
auf! Er ruft dich.«
Er warf seinen Mantel hin, sprang auf und kam zu Jesus. Und Jesus
antwortete ihm:
»Was willst du, soll ich für dich tun?«
Der Blinde sagte zu ihm:
»Mein Meister, daß ich wieder sehe.«
·
daß ich die Bewegung
in der Ruhe, die Ruhe in der Bewegung wieder aufnehme!
Und Jesus sagte zu ihm:
»Geh hin, dein Glaube hat dich heil gemacht.«
Und sogleich konnte er wieder sehen. Und er folgte ihm auf dem
Weg.
Blind sind viele Menschen.
Und als Patienten werden es wohl immer mehr. Sie hören im Evangelium -
hoffentlich beizeiten - was vor Gott zählt - das ist das
Wunder, das ist Gottes Dienst an uns, daß sie die Gemeinschaft mit
Gott, die unüberbietbare, mit den Augen des Herzens sehen -
wie alle anderen Glaubenden auch.
Blind sind viele Menschen.
Blind gemacht sind immer mehr unter uns. Hausgemacht blindgemacht. Diskriminiert,
ausgestoßen aus der Gemeinschaft, rufmordbedroht. Hausgemacht blindgemacht. Die Asylanten und Gastarbeiter, die Lesben und Schwulen - zu letzteren
noch dieses Wort: Wer auch nur den geringsten negativen Gedanken gegen
Homosexuelle hegt, sollte sich klarmachen, daß ihm die Richtung
der Liebe wichtiger ist als die Intensität, und sich fragen oder
gleich sagen lassen, wie deren Verhältnis in den Augen Gottes aussieht: Wenn Gott alle unendlich liebt, dann die Schwarzen in Ghana, die Mädchen
im Eskimoland - jeden x-beliebigen Menschen können Sie hier
einsetzen
Wie Gott in Jesus von Nazaret und jedem anderen, auch jedem homosexuellen
»alter« Christus, die Intensität der Liebe zugunsten
jeder Richtung schreien läßt, mögen Sie daran erkennen,
daß er vor uns kniet und fleht: »Du hast gehört, daß
mein Verzeihen grenzenlos ist. Nimm die Vergebung an!« Sofort bist Du bereit: Du kannst Dich wieder drehen in einer Ruhe, die
mir keiner nachmacht. Du behältst die Ruhe in der Bewegung, die ich
in Dir bin. - »Laß Dich mit mir versöhnen«
(vgl. 2 Kor 5,20). Michael sieht, daß das stimmt, daß Gott vor uns kniet. Aber
er sieht das nicht nur. Er kniet das auch. Wir glauben nämlich, daß
Gott nicht allein kniet, daß unser Erzengel zur Rechten Gottes ebenfalls
vor uns kniet: »Laßt Euch mit Gott versöhnen.« Der Erzengel Michael
aus den Büchern verbürgt sich ebenfalls dafür, daß
diese Ehre seines bisherigen Schützlings Stephans Trost ist -
und der unsrige hier. Kniet er doch selbst zu Gottes Linken.
Blind sind viele Menschen.
Wir sind alle blind. »Wir sind alle Bettler, das ist wahr!«
Kann uns Besseres passieren? Von Gott darin recht zu bekommen, ist die
größte Demütigung. Da sind wir erst so richtig im Unrecht,
ganz anders als bei Menschen. Es gilt, diese Demütigung auch anzunehmen, das heißt den Mut,
anderen zu dienen. Sich dabei und so der grenzenlosen Güte Gottes
zu freuen, ist dieser Dienst an anderen. Er läßt auch niemals
irgendeine Richtung der Liebe für wichtiger halten als deren Intensität. Zeigen wir übrigens in eine Richtung, zeigen wir geradewegs auf Gott
Vater. Richten wir uns genau in die entgegengesetzte Richtung aus, zeigen
wir mitten im dreifaltigen Gott Gottes Sohn. Die Intensität der Liebe dazwischen ist die des Heiligen Geistes,
die uns unüberbietbar birgt.
Fürbitten
Gott unser Vater! Erfülle uns mit dem Geist Deines Sohnes.
Gib, daß sogar alles, was uns hindern möchte, uns
nur um so mehr dazu bringt, uns an Deinen Sohn zu halten. Schicke
uns Menschen, die uns Mut machen. Schenke uns neue Augen, damit
wir in allem Deine Nähe erkennen und Michael sich unserer
nicht zu schämen braucht. |