Der rote Schirm

 

Johannes 15
9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
12 Das ist mein Gebot, daß ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
13 Niemand hat größere Liebe als die, daß er sein Leben läßt für seine Freunde.
14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.
15 Ich sage hinfort nicht, daß ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, daß ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, daß ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch gebe.
17 Das gebiete ich euch, daß ihr euch untereinander liebt.


Das kleine Mädchen freut sich. Es hat die Mutter ganz verstanden und weiß nun, was ein Schirm ist; es freut sich. Kein Schirm gibt ihm mehr Rätsel auf und schwierige Fragen; im Gegenteil, das Mädchen hat den Durchblick: es freut sich. Es weiß, wozu der Schirm dient, wie er bedient wird, an welchen Stellen man sich die Finger klemmen kann.
Überschaubarkeit ist erlangt; der Schirm ist dem Mädchen aus Nebel und Dunkel herausgeführt worden in die Klarheit des Verständnisses. 

Kurz darauf, an seinem Geburtstag, steht das Mädchen noch weniger ratlos da; es weiß nun nicht nur einen Schirm zu handhaben, es besitzt jetzt sogar einen, einen schönen roten natürlich.

Die Fraglosigkeit in bezug auf den Schirm, die Freude des Mädchens, d. h. sein Durchblick in bezug auf den Sonnen- und Regenschutz, ist von fragwürdiger Qualität. Nicht nur, daß ihm zum Glück selbst der Regen fehlt. Erst Tage später ergibt es sich, daß alle Leute nach Hause in ihre Häuser streben, nur unser kleines Mädchen mit dem neuen roten Schirm auf die Straße eilt.

Es ist vor allem auch so, daß hier Freude, Durchblick und Fraglosigkeit herrschen in bezug auf ein kleines Stückchen Welt, das dem Mädchen verloren gehen, das ihm genommen werden kann. Und mit ihm die Freude.
Schon Tage, ja Stunden nach dem Geburtstag kann die Freude umschlagen in Trauer. Ist dem Mädchen der Schirm genommen worden, steht Daseinsverarmung an Stelle der Freude, der Daseinsbereicherung. Die Möglichkeit ist eingetreten, die solches Leben in sich birgt, daß es zum Feind seiner selbst wird. - Das Mädchen erlebt den Schmerz, es leidet und weint.

Das ist Freude menschlicher Art, stille, in sich gesammelte Freude oder auch freudige Erregung, Durchblick, der seine höchste Steigerung in großem Entzücken findet. Immer aber ist die Freude, da begrenzt, geschöpflich, bedroht durch den Verlust der Freude, die alles in größerem Licht sieht und somit durchschaut.

Solche menschliche Überschaubarkeit kann wieder verloren gehen, Angst bereitend eingeengt werden und in all seiner vormaligen Klarheit verdunkelt erscheinen. Zuweilen verschwindet wieder völlig hinter undurchdringlichem Nebel, was vordem doch so hell erschien und lichtvoll.

Menschliches Leben ist nicht reibungslos, unsere Funktionsabläufe sind nicht störungsfrei, was uns in hellem Licht als Bereicherung des Daseins erscheint und also Freude bereitet, ist allein innerweltlich Begegnendes; als Geschenk ergriffen, ist es schon gefährdet; Trauer ist die Kehrseite solch allein menschlicher Freude.

Ganz anders die Freude Gottes. Hier ist nichts gefährdet und alles Geschenk, nicht nur als Geschenk ergriffen. Hier ist Störungsfreiheit, weil nichts in Wahrheit sich durchsetzt, das Enge spürende Angst macht.

Das letzte Wort göttlicher Freude hat Christus; das Wort Gottes unendlicher Liebe »bringt« die Freude. Das letzte Wort göttlicher Freude hat Christus, es ist der Heilige Geist. Nicht bloßes flüchtiges Dasein, sondern Sein in der bedingungslosen Liebe des Vaters zum Wort, zu Christus, seinem Sohn.

Heiliger Geist, die Tiefe Gottes, des Vaters, und Gottes, des Sohnes, ist diese Freude; unüberbietbar ist ihre Tiefenwirkung in der Welt, anders als die der menschlichen Freude. Von Vergnügen ganz zu schweigen.

An dieser göttlichen Freude haben wir Anteil, sie ist uns geschenkt. Und sie ist gemeint, wenn Jesus heute Christus so sagt, die unendliche Liebe des Vaters zum Sohn, die uns unüberbietbar geborgen hält:
Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde. - Vollkommen wird unsere Haltung der Freude, die menschliche, wenn wir sie uns korrigieren lassen.

Das Evangelium ist uns aufgedeckt, die unüberbietbare Zuwendung Gottes zu jedem Geschöpf in jeder Situation; niemanden gibt Gott jemals auf, weshalb auch wir durchatmen können und es nicht länger nötig haben, uns an der vergänglichen Welt festzuklammern um jeden Preis, sie mit Gott zu verwechseln und so zu vergöttern, oder bei Verlust unserer innerweltlichen Freude, deren Umschlagen in Trauer, an der Welt zu verzweifeln.

Sehen wir die Welt, wie sie ist, voll göttlicher Freude. Gott hält sie so grenzenlos geliebt in seinen Händen, daß des Sohnes wegen Böses sich niemals wirklich durchsetzt und uns trennt von der Gemeinschaft mit Gott (vgl. Röm 8,38f).
Stellen wir herkömmliche Machtstrukturen wie Jesus in Frage: Leben wir nicht aus der Angst um uns, sondern aus der Freude, aus göttlicher Freude - darüber, daß uns nichts erpressen kann und niemand. Es ist nicht möglich, daß wir etwas verlieren, was der Rede wert ist; krempeln wir daher die Ärmel auf, die Freude Gottes bekanntzumachen.

Sie ist das Geschenk Gottes an die Welt. In der Freude erscheint uns nicht nur dies oder das in hellem Licht, statt im Dunkel der Frage, sondern die gesamte Wirklichkeit selbst: Gott, die Welt und Gottes Verhältnis zur Welt, die Freude, der Heilige Geist.

Amen
Das Weitere findet sich

PS
Selbst wo versucht wird, die Botschaft auf den Kopf zu stellen, wird nichts gegen Gott ausgerichtet. Es ist die Botschaft selbst, die alles auf den Kopf stellt.
Es bleibt auch dann Gottes Wort unwiderlegt, wenn die Einheitsübersetzung nicht übersetzt, sondern verfälscht. - Es macht unter dem Strich gar nichts, daß diese Einheit s/z übersetzung der Auffassung ist, Gottes Sohn habe gesagt:
Ich nenne euch meine Freunde (dort Joh 15,15), leider seid ihr es nicht, ich nenne euch nur so …


6. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B
Apg 10,25-26.34-35.44-48; 1 Joh 4,7-10; Joh 15,9-17