Der rote Schirm
Johannes 15
Das kleine Mädchen freut sich. Es hat die
Mutter ganz verstanden und weiß nun, was ein Schirm ist; es freut
sich. Kein Schirm gibt ihm mehr Rätsel auf und schwierige Fragen;
im Gegenteil, das Mädchen hat den Durchblick: es freut sich. Es weiß,
wozu der Schirm dient, wie er bedient wird, an welchen Stellen man sich
die Finger klemmen kann. Kurz darauf, an seinem Geburtstag, steht das Mädchen noch weniger ratlos da; es weiß nun nicht nur einen Schirm zu handhaben, es besitzt jetzt sogar einen, einen schönen roten natürlich. Die Fraglosigkeit in bezug auf den Schirm, die Freude des Mädchens, d. h. sein Durchblick in bezug auf den Sonnen- und Regenschutz, ist von fragwürdiger Qualität. Nicht nur, daß ihm zum Glück selbst der Regen fehlt. Erst Tage später ergibt es sich, daß alle Leute nach Hause in ihre Häuser streben, nur unser kleines Mädchen mit dem neuen roten Schirm auf die Straße eilt. Es ist vor allem auch so, daß hier Freude, Durchblick und Fraglosigkeit
herrschen in bezug auf ein kleines Stückchen Welt, das dem Mädchen
verloren gehen, das ihm genommen werden kann. Und mit ihm die Freude. Das ist Freude menschlicher Art, stille, in sich gesammelte Freude oder auch freudige Erregung, Durchblick, der seine höchste Steigerung in großem Entzücken findet. Immer aber ist die Freude, da begrenzt, geschöpflich, bedroht durch den Verlust der Freude, die alles in größerem Licht sieht und somit durchschaut. Solche menschliche Überschaubarkeit kann wieder verloren gehen, Angst bereitend eingeengt werden und in all seiner vormaligen Klarheit verdunkelt erscheinen. Zuweilen verschwindet wieder völlig hinter undurchdringlichem Nebel, was vordem doch so hell erschien und lichtvoll. Menschliches Leben ist nicht reibungslos, unsere Funktionsabläufe sind nicht störungsfrei, was uns in hellem Licht als Bereicherung des Daseins erscheint und also Freude bereitet, ist allein innerweltlich Begegnendes; als Geschenk ergriffen, ist es schon gefährdet; Trauer ist die Kehrseite solch allein menschlicher Freude. Ganz anders die Freude Gottes. Hier ist nichts gefährdet und alles Geschenk, nicht nur als Geschenk ergriffen. Hier ist Störungsfreiheit, weil nichts in Wahrheit sich durchsetzt, das Enge spürende Angst macht. Das letzte Wort göttlicher Freude hat Christus; das Wort Gottes unendlicher Liebe »bringt« die Freude. Das letzte Wort göttlicher Freude hat Christus, es ist der Heilige Geist. Nicht bloßes flüchtiges Dasein, sondern Sein in der bedingungslosen Liebe des Vaters zum Wort, zu Christus, seinem Sohn. Heiliger Geist, die Tiefe Gottes, des Vaters, und Gottes, des Sohnes, ist diese Freude; unüberbietbar ist ihre Tiefenwirkung in der Welt, anders als die der menschlichen Freude. Von Vergnügen ganz zu schweigen. An dieser göttlichen Freude haben wir Anteil, sie ist uns geschenkt.
Und sie ist gemeint, wenn Jesus heute Christus so sagt, die unendliche
Liebe des Vaters zum Sohn, die uns unüberbietbar geborgen hält: Das Evangelium ist uns aufgedeckt, die unüberbietbare Zuwendung Gottes zu jedem Geschöpf in jeder Situation; niemanden gibt Gott jemals auf, weshalb auch wir durchatmen können und es nicht länger nötig haben, uns an der vergänglichen Welt festzuklammern um jeden Preis, sie mit Gott zu verwechseln und so zu vergöttern, oder bei Verlust unserer innerweltlichen Freude, deren Umschlagen in Trauer, an der Welt zu verzweifeln. Sehen wir die Welt, wie sie ist, voll göttlicher Freude. Gott hält
sie so grenzenlos geliebt in seinen Händen, daß des Sohnes
wegen Böses sich niemals wirklich durchsetzt und uns trennt von der
Gemeinschaft mit Gott (vgl. Röm 8,38f). Sie ist das Geschenk Gottes an die Welt. In der Freude erscheint uns nicht nur dies oder das in hellem Licht, statt im Dunkel der Frage, sondern die gesamte Wirklichkeit selbst: Gott, die Welt und Gottes Verhältnis zur Welt, die Freude, der Heilige Geist. Amen PS
6. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B |