25. Sonntag im Jk – Lesejahr A

gehalten am 18. September 1993 in der St. Martinus Krankenhauskapelle in Düsseldorf

Jes 55, 6 - 9; Phil 1, 20 a, d - 24. 27 a; Mt 20, 1 - 16 a

Amsterdam, auf dem Flughafen verabschiedet sich gerade - der Prediger schaut auf die Uhr - ein junger Familienvater; seiner Frau gibt er einen Kuß, seinem Töchterchen, erst 12 Monate, macht er ein Kreuzchen auf die Stirn: Der Vater segnet es schnell. - Ist jemand hier, der etwas dagegen hat? Gegen beides nicht, weder gegen den einen noch gegen den anderen Kuß?

In Berlin, in Kreuzberg, im Kiez, nimmt einer jede Menge Koks, aber er liebt sein Söhnchen. In der Schlafecke macht er ihm ein Kreuzchen auf die Stirn, verstohlen, sieht ja keiner. - Hat jemand Einwände, ist jemand dagegen?

Amsterdam, Berlin - Cuxhaven. In Cuxhaven macht sich ein Seemann auf; er weiß nicht, ob er seine Mutter noch in der Wohnung antrifft, wenn er von der großen Reise zurückkommt, er gibt ihr den einen und den anderen Kuß, beide unrasiert. - Hat jemand Einwände, ist jemand dagegen?

Amsterdam, Berlin, Cuxhaven - Düsseldorf. Eine Mutter streckt ihren Arm durchs Gitter und macht ihrem einzigen Sohn, tätowiert und ziemlich jenseits, ein Kreuzchen auf den Handrücken; der Grüne sieht ja Nix, im Knast. - Hat jemand Einwände, ist jemand dagegen? - Gut, fangen wir mit der Predigt an!

Stellt Euch bitte ein Mädchen vor, das spricht so, wie man da spricht, wo es geboren wurde: in Ghana, ziemlich weit von hier, in Afrika. Wir würden kein Wort verstehen, wenn es hier herein käme und uns sein Lieblingslied vorsänge. Dafür versteht der Lockenkopf aus "unserer" Sprache nur das Wort "Amen". In einer anderen Sprache versteht das schwarze Mädchen kein Wort. Wenn man ihm ein Kaugummi hinhält, kapiert es natürlich, daß es das angeboten bekommt, daß es das nehmen darf, aber keiner von uns hier könnte dem Mädchen sagen, wann er Geburtstag hat.

Und ein anderes Mädchen wollen wir uns vorstellen. Beide sind dick befreundet, sie wohnen in Afrika im selben Haus. - Die Mutter des schwarzen Mädchens führt den Haushalt. Stellen wir uns auch gleich des schwarzen Mädchens beste Freundin vor:


Dieses andere Mädchen ist weiß, vor zwölf Jahren in Godesberg geboren und vor Jahren mit der ganzen Familie nach Afrika ausgewandert. Der Vater vertritt unser Land dort als Konsul, als Generalkonsul sogar. Dieses zweite Mädchen, vor dessen Fenster jeden Tag die schwarz-rot-goldene Flagge weht, spricht deutsch im Singsang von Godesberg, englisch wie My Fair Lady und natürlich ghanaisch wie seine beste Freundin. In der Schule sitzen sie nebeneinander, natürlich. Das weiße könnte dem schwarzen Mädchen dolmetschen, wer hier heute Geburtstag hat. Aber es hat lange vergessen, wo die Mosel fließt, was bei uns ein Brötchen kostet, und unsere neuen Geldscheine hat es überhaupt noch nie gesehen.

Stellt Euch nun bitte beide vor, diese beiden Mädchen wären ganze 14 Tage vor den letzten Sommerferien, zwei Wochen also nur vor den Jahreszeugnissen nach Deutschland und in Fabians Klasse gekommen. Fabian ist der Ministrant dort in der ersten Reihe.
Beide Mädchen verstanden im Unterricht so gut wie gar nichts. Trotzdem hatten beide im Zeugnis in jedem Fach eine "Eins".

So ist Gott. Jedem Menschen schenkt er sich selbst.
Gott ist so: Jedem Menschen schenkt er das ganze Himmelreich.
So ist Gott. Jeden Menschen nimmt er von Anfang an in den Himmel auf, in seine Liebe zum Sohn.
Gott ist so: Jedem Menschen gibt er viel mehr, als der Mensch verdient: Den Himmel kann sich kein Mensch verdienen, niemals. - Jedem Menschen gibt er mehr, als er verdient; jedem Menschen schenkt er, was er braucht: Seine unendliche Liebe.


Alle Menschen leben von ihrem Anfang an im Himmel, im Heiligen Geist, mittendrin in der unendlichen Liebe des Vaters zum Sohn. - Und manchen von ihnen wird das von ihren Eltern und Freunden beizeiten gesagt. Manchen. - Einige verstehen es auch.

Einen Menschen darüber nicht in Unkenntnis zu lassen, wer er eigentlich ist, ein maßlos geliebter Mensch, das heißt ihn zu segnen. - Einem Menschen zu sagen, ihm aufzudecken, einem Menschen zu predigen, daß er bereits von Anfang an mitten im Himmel lebt, das heißt diesen Menschen zu segnen.


Aber den Segen wollen wir heute ausführlich überdenken. Und deshalb fangen wir fairerweise von vorn an:

Wenn man das Wort Segnen ins Lateinische übersetzt und dann wieder zurück ins Deutsche, ohne wieder das Wort "Segnen" zu nehmen, wird klar, was Segnen bedeutet.

Segnen heißt "bene - dicere, Gutes [zu]sagen." Segnen heißt, einem anderen Menschen - oder auch sich selbst - Gutes sagen. - Wir wollen es bei drei Beispielen belassen, weil das Segnen ganz einfach ist:


Erstens: Fabian, wenn ich Dir demnächst wieder einmal begegne und Dir schon aus der Ferne entgegenrufe: "Guten Morgen, Fabian!" oder "Guten Tag", dann ist das ein Segen, dann habe ich Dich gesegnet, im ganz weiten Sinn. - Antwortest Du: "Hallo", hast Du mich "zurückgesegnet".

Zweitens: Du hast zu Hause drei große Brüder, keine Schwester, Fabian! Schau, wie viele Schwestern hier links und rechts sitzen. Ich schenke sie Dir! Alle auf einmal!

An dieser Stelle darf ich das sagen, denn an dieser Stelle der Kapelle leiht Gott sich meinen Mund. An dieser Stelle, an der nur Christus den Mund auftun darf, an dieser Stelle, von der aus nur Christus gesagt werden darf - die Predigt, das Wort Gottes, das ist ja Christus selbst. Im Christentum sind Bote und Botschaft ein und derselbe; Im Christentum sind die Botschaft, Gottes unendliche Güte, und der Bote ein und dasselbe.

An dieser Stelle hier also darf ich das sagen, Fabian, ich schenke sie Dir: Das sind jetzt alles Deine Schwestern! Schwestern: Hier, Euer neuer Bruder, Fabian aus Köln.


Das ist der einzige Sinn der Botschaft Jesu, der einzige Sinn, Gottes grenzenlose Zuwendung zu hören, daß wir Menschen geschwisterlich leben können: Gottes Wort macht Gemeinschaft möglich, weil es alle Angst als völlig ohnmächtig erkennen läßt: "Siehe da, Deine Mutter! - Schau, da sind Deine Schwestern (vgl. Joh 19, 26b und 27a)!"


Drittens: Hier im Krankenhaus hat alles seine Ordnung. In den Bänken dieser Kapelle hier sitzt man, je nachdem wie man mit den zehn Geboten zurechtkommt. Hier vorn links sitzen die mit den Schwierigkeiten im ersten Gebot, dahinter die mit den Problemen mit dem zweiten, dem dritten, vierten und fünften. In den rechten Bankreihen sitzen die Sünder gegen das sechste bis zehnte Gebot.

Auch wenn sie sich mal alle durcheinandersetzen: Da alle Bänke mitten im Himmel stehen, bleiben sie ein Segen, schön geordnet zur Rechten Gottes. Da können sie machen, was sie wollen, daran ändern sie nichts. Auch wenn sie sich nicht darüber freuen wollen, im Himmel zu sein, schmeißt Gott sie noch lange nicht heraus.

Wenn der Priester am Ende der heiligen Messe alle Leute in allen Bänken segnet, dann denken leider manche, er würde ganz am Schluß des Gottesdienstes noch etwas hinzufügen. Sie verstehen den Segen am Schluß des Gottesdienstes so, wie die Mutter am Schluß des Tortenbackens noch Puderzucker drüberkippt.

In Wirklichkeit ist es aber so, daß wir die heute an der Stelle des Evangeliums vorgelesene Geschichte in jeder Messe zur Segensformel zusammengebacken hören. - Statt jedesmal die Geschichte vorzulesen, in der der Besitzer des Weinbergs jedem den ganzen Himmel schenkt, hören wir am Ende jeder Eucharistiefeier den Segen Gottes zu einer Formel zusammengebacken. - Wir sind am Ende des dritten Beispiels. Wie geht dieses Beispiel zu Ende, Fabian?

Weil ich ein Mikrophon habe, darf ich Deine Worte wiederholen, Fabian:

"Statt zu sagen, daß Gott, der Vater, alle Menschen von Anfang an in seine Liebe zum Sohn hineingenommen hat, in den Heiligen Geist, statt das jedesmal so einigermaßen umständlich zu sagen, sagt der, der segnet nur:

"Es segne Euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist!"


Als ich zum erstenmal in meinem Leben segnete, bevor ich zum erstenmal laut und deutlich und langsam und richtig betont sagte:

"Es segne Euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist",

da kniete sich noch ganz schnell der Bischof vor mich hin, der mich gerade zum Priester geweiht hatte.
- Vierzehn Tage später war er übrigens Kardinal ...

Wenn Du also bitte noch einen Augenblick wartest, damit ich mich hinknien kann, bis Du uns segnest:

Es hatte hier niemand etwas dagegen,
daß ein Niederländer Frau und Töchterchen im Kinderwagen segnet,
keiner hatte Einwände gegen den Kokain-Segen;
der Gefängnis-Segen mitten zwischen der Mutter und der Tätowierung
wurde ebenfalls nicht beanstandet.
Fabian ist zwölf, kirchenrechtlich erwachsen.
Bitte Fabian.

Danke, Fabian.
Wenn heute abend Joachim Kardinal Meisner bei den Jesuiten in Köln zu Besuch ist, der läßt sich ja keinen Segen entgehen, und da hat er es ja nicht weit, werde ich ihm auch Deinen Segen erzählen, Fabian.
Amen.
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