Ignatius von Loyola
Gründungstexte der Gesellschaft Jesu
übersetzt und herausgegeben
von Peter Knauer SJ
Deutsche Werkausgabe, Band II

Rezension
von Ansgar Wucherpfennig SJ
erschienen in der Rubrik
»Das besondere Buch«
»canisius«
Mitteilungen der Jesuiten
Weihnachten 1998

 

Die deutsche Werkausgabe der Schriften des Ignatius legt den Blick frei auf das Urgestein, aus dem der Jesuitenorden mit seiner vierhundertjährigen Geschichte gebaut ist. Nach der Übersetzung einer Auswahl von 400 Briefen im ersten Band (1993) ist in diesem Jahr ein zweiter Band erschienen.

Mit seinem Titel »Gründungstexte der Gesellschaft Jesu« hat der Herausgeber absichtlich eine Sammelbezeichnung gewählt, denn der Band enthält ganz unterschiedliche Texte: autobiographische, geistliche, protokollarische und Rechtstexte stehen nebeneinander.

Autobiographischen Charakter hat der Pilgerbericht, der aus Erzählungen des Ignatius zu den entscheidenden geistlichen Wendepunkten seines Lebens in der Zeit von 1521 bis ins Jahr 1544 entstanden ist. Das geistliche Tagebuch enthält persönliche Aufzeichnungen aus einer vierzigtägigen Reflexionszeit des Ignatius über Armutsregelungen in der neuen Gemeinschaft. Darunter sind einige, die Einblick in das innere Geschehen der Mystik des Ignatius geben; andere gleichen in langen Passagen einem trockenen Untersuchungsprotokoll des Heiligen über die Bewegungen seiner Seele.

Das Exerzitienbuch, das wohl wie keine andere Schrift bis heute als identitätsstiftendes Merkmal ignatianischer Spiritualität gilt, ist hier in zwei Fassungen abgedruckt, der spanischen Urfassung und in der ersten lateinischen Druckausgabe. Anhand verschiedener Schriften kann der Leser die langsame Entstehung einer konstitutiven Rechtsstruktur des Ordens verfolgen:

Die Formula Instituti aus den Jahren 1539/40 ist das Grundgesetz des Ordens. Ihr folgen Beschlüsse der sieben ersten Gefährten über Fragen der Armut, der Kleidung, der Katechese für Jugendliche und über die Zulassung von Mitgliedern mit geringerer Bildung. Die Satzungen des Ordens sind in einem Entwurf von Polanco und der überarbeiteten Fassung, wie sie bei Ignatius’ Sterben 1556 vorlag, widergegeben. Daneben finden sich Anweisungen, Regeln und Sitzungsprotokolle. Sie beschreiben das Leben des Ignatius von Loyola und illustrieren das Vorgehen der Jesuiten für die Anfangszeit, das als noster modus procedendi (»unsere Art des Vorangehens«) die ignatianische Spiritualität bis heute prägt. In dem neuen Band läßt sich studieren, dass die gewöhnliche Vorstellung, Ignatius von Loyola habe als Einzelner einen Orden gegründet, für die Gesellschaft Jesu nicht zutrifft. Die Gründung des Ordens geschah als gemeinsamer Unterscheidungsprozeß der Gruppe, die Ignatius in Paris um sich gesammelt hatte. Über diese gemeinsame Reflexion berichtet die Beratung der ersten Gefährten. »Wir sollten zu einem Leib werden, und die einen sollten für die anderen Sorge tragen und um sie wissen zum größeren Gewinn für die Seelen« (S. 292), entschied die Gruppe.

Die Methodik der Beratung wirkt ausgesprochen aktuell, da sie in kluger Weise Mittel anwendet, um Personen- und Sachebene zu unterscheiden und die geistliche Dimension der Überlegung zu integrieren. Rechtstexte und Regeln werfen ein Licht auf das Knochengerüst der Gesellschaft Jesu, auf die wesentlichen Strukturen und Institutionen, die das Leben des Ordens prägen. Sie setzen ein hohes Maß an Bereitschaft zu Kooperation und gegenseitiger Unterstützung innerhalb des Ordens voraus. Die vielen Regeln und Anweisungen verbinden in einem Balanceakt »das innere Gesetz der Liebe und Güte«, das über jeder äußeren Satzung steht, mit einer Liebe zum Detail, die sich nicht davor scheut, dem Küster vorzuschreiben, wie viele Kreuze die Tücher zur Kelchreinigung tragen sollen.

Übersetzt wurden die Texte, wie schon im ersten Band, durch Peter Knauer SJ, Fundamentaltheologe in unserer Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt/Main. Der Pilgerbericht, das Exerzitienbuch, die Satzungen und das Geistliche Tagebuch waren bereits als Einzelschriften in seiner Übersetzung erhältlich und sind jetzt in den Sammelband eingegangen.

Pater P. Knauers Übersetzung versucht, den jeweiligen Originaltext möglichst wortgetreu wiederzugeben. Dadurch macht sie es dem Leser mit einer leicht holprigen Sprache nicht immer einfach. Sie erleichtert aber in vielen Fällen die Einsicht in ursprüngliche Stileigentümlichkeiten und empfiehlt eine aufmerksame, verweilende Lektüre, die die Schriften lohnen.

Der Band ist eine geeignete Empfehlung für alle, die bei den ersten Jesuiten lernen möchten, den Seelen zu helfen.